Nachruf für Erich Schäfer

Erich Schäfer, der langjährige 1. Vorsitzende des Nachbarschaftsvereins Augusta-/ Gustavstraße e. V. in Mülheim-Styrum und enger Freund und Partner der Diakonie in Mülheim an der Ruhr, ist gestorben.



Erich Schäfer wurde am 15.12.1938 in Oberhausen geboren, er hatte sieben Geschwister. Er wuchs in einer guten und liebevollen Familienumgebung auf, sein Vater war als Geldbriefträger tätig, die Mutter Hausfrau.

Im Jahr 1962 lernte Erich Schäfer seine spätere Frau Ursel, geboren 1946, kennen. Er war damals 24 Jahre alt, Ursel 16 Jahre. 1965 heiratete das Paar.

Erich und Ursel Schäfer haben zwei Kinder, als Erstgeborenen den Sohn Jürgen sowie die Tochter Sabine. Von der Tochter Sabine gibt es ein leibliches Enkelkind, Dominic, 16 Jahre alt, sowie zwei Enkelkinder aus der Partnerschaft des Sohnes Jürgen, ein dreijähriges Mädchen und einen achtjährigen Jungen, die in die Familie Schäfer aufgenommen wurden.

Erich Schäfer absolvierte seine Schulzeit in den Kriegs- bzw. Nachkriegsjahren und begann früh auf dem Bau als Maurer zu arbeiten, später als Kranführer, außerdem führte er Tätigkeiten als Baumaschinenschlosser aus. Die körperlich schwere Arbeit hinterließ seine Spuren bei ihm. Er schulte daher in den 60er Jahren um und erwarb den Berufsabschluss als geprüfter Flugzeugabfertiger am Flughafen in Düsseldorf.

Im Jahr 1968 erlitt Erich Schäfer einen schweren Unfall mit schweren gesundheitlichen Einschränkungen, die ihn bei der weiteren Ausführung seines Berufs stark beeinträchtigte bzw. diese Mitte der 70er Jahre mit erzwungenem Renteneintritt beendete. Erich Schäfer war damals 37 Jahre alt. In dieser Zeit zog die Familie um nach Mülheim-Styrum in die Augustastraße 200, in unmittelbarer Nähe zur städtischen Obdachlosensiedlung Augustastraße 190 - 196.

Die Eheleute Schäfer waren immer kontaktfreudig und sozial eingestellt, und so kam es schnell zur Kontaktaufnahme mit den neuen Nachbarn. Erich Schäfer traf auf viele Familien mit schweren persönlichen Problemen und sozialen Notlagen.

Zu dieser Zeit waren Mitarbeiter des Diakonischen Werkes als Sozialbetreuer in der Obdachlosensiedlung tätig, seit dem Jahr 1974 der Sozialarbeiter Peter Schnoor. Die Arbeit des Diakonischen Werkes orientierte sich an dem methodischen Ansatz der sog. Gemeinwesenarbeit (GWA) mit dem Ziel der Bürgerbeteiligung als soziale Arbeit im Stadtteil. Die Methode der Gemeinwesenarbeit wurde weiterentwickelt und entfaltet in heutiger Zeit große Relevanz in Theorie und Praxis der sozialen Arbeit unter dem Stichwort der sog. „Sozialraumorientierung“. Neben den Sozialarbeitern der Diakonie waren auch engagierte studentische Hilfskräfte eingesetzt, außerdem Praktikanten und Zivildienstleistende. Es entstand ein ebenso aktives wie kreatives Zusammenwirken, welches schließlich im Jahre 1975 dazu führte, dass der „Nachbarschaftsverein Augustastraße und Gustavstraße e. V.“ gegründet wurde.

Erich Schäfer begann sich ebenfalls im Jahre 1975 zu engagieren, schnell zunehmend, so dass er ab 1976 bis zu seinem Tod im Jahr 2011 die Funktion des 1. Vorsitzenden ausführte.

Von Anfang an suchte und förderte Erich Schäfer die Zusammenarbeit mit der Evangelischen Kirche. Es kam zu einer dauerhaft engen Zusammenarbeit mit der Diakonie, insbesondere seit 1978, dort vertreten durch die Sozialarbeiterin Frau Sabine Marold, sowie ebenso eng mit der Evangelischen Kirchengemeinde Styrum, vertreten durch Pastor Heinz Schellberg, Gemeindepfarrer in der Immanuelkirche.

Erich Schäfer, Sabine Marold und Pastor Heinz Schellberg waren für viele Jahre die engagiert kreativen Köpfe und antreibenden Personen sozialer Arbeit in Styrum.

In den frühen Jahren waren insbesondere Kinder und Jugendliche die gesuchte Zielgruppe.

Gleichzeitig wurden die Familien mitangesprochen mit dem Ziel, Begegnung und Gemeinschaft zu erzeugen, um sich nachbarschaftlich in den herausfordernden Lebenslagen beistehen zu können.

Die Schwerpunkte der Arbeit waren daher

- Hilfen für Schule und Bildung,
- freizeitpädagogische Angebote in den Gruppenräumen der Augustastraße,
- Ferienfreizeiten und
- die Gruppenräume Augustastraße als Begegnungsstätte für Jung und Alt.

Mitte der 80er Jahre gelang es erstmals, eine Renovierung der Wohnungen in den Schlichtbauten durchzuführen, in denen es z. B. keine Heizungen gab. Auch die Gruppenräume wurden in einen ordentlichen, zeitgemäßen Zustand gebracht, die Kellerräume wurden für erweiterte Gruppenaktivitäten, insbesondere für Jugendliche, hergerichtet. Erst ab 1985 erhielt der NBV von der Stadtverwaltung eigenen Zugang und Schlüsselrecht zu den Gruppenräumen. Auch dafür hatten Erich Schäfer und seine Mitstreiter engagiert gekämpft.

In all den Jahren führte Erich Schäfer seine Tätigkeit ehrenamtlich aus, und er hatte sicher häufig eine 60- bis 80-Stunden-Woche.

Es gelang, ihn einige Male mit öffentlichen Fördermitteln im Diakonischen Werk anzustellen, so für zwei Jahre von August 1983 bis Juli 1985 und ein Jahr später nochmals von Januar 1987 bis Dezember 1987. Glücklicherweise schloss sich dann noch einmal eine 5-jährige Förderphase aus landeskirchlichen Mitteln an für die Zeit vom 01.11.1989 bis zum 31.10.1994 sowie dann noch einmal folgend vom 01.05.1996 bis zum 30.04.1998.

Alle, die mit Erich Schäfer zu tun hatten, wissen, dass es in all diesen Jahren für ihn keinen Unterschied zwischen der Arbeitszeit als Angestellter und der beim NBV verbrachten Zeit als Ehrenamtlicher gab.

Der Nachbarschaftsverein mit all seinen Aktivitäten war nicht nur für Erich Schäfer der Lebensmittelpunkt, auch seine Frau Ursel wurde miteinbezogen und sehr häufig auch die Kinder Sabine und Jürgen. Das ehrenamtliche Engagement überwog die hauptamtlichen Anstellungen bei Weitem. Entscheidend war aber nicht nur oder nicht in erster Linie der zeitliche Einsatz.

Erich Schäfer hat für viele und unzählige Menschen im Umfeld der Augustastraße und des Nachbarschaftsvereins eine große persönliche Bedeutung gehabt. Er war im wahrsten und besten Sinne des Wortes eine positive, zugewandte und verlässliche Vaterfigur.

In diesem Zusammenhang ist auch hervorzuheben, dass er bereits früh damit begonnen hat, auch andere und junge Menschen in die ehrenamtliche und verantwortungsvolle Tätigkeit miteinzuführen. Hier ist insbesondere Udo Marchefka zu nennen, der heute als 2. Vorsitzender und Geschäftsführer des NBV agiert und Erich Schäfer in den letzten Jahren zunehmend und unterstützend begleitet hat. In den letzten Jahren konnte man ein ebenso engagiertes wie erfolgreiches Gespann erleben.

Im Jahre 1999 wurden nach langjährigen Diskussionen und Erörterungen in Mülheim an der Ruhr alle städtischen Notunterkünfte aufgelöst, und zwischen der Stadt Mülheim, den Wohlfahrtsverbänden und anderen freien Trägern wurde ein neues tragfähiges Konzept zur Prävention und Verhinderung von Wohnungslosigkeit entwickelt, das sich in den letzten 10 Jahren als tragend und erfolgreich etabliert hat.

Auch der Nachbarschaftsverein spielt hierbei eine wichtige Rolle, insbesondere für den Sozialraum Styrum.

In Anerkennung dieser Funktion wurden daher nach der Auflösung der Obdachlosenunterkünfte die Häuser an der Augustastraße 190 – 196 nicht abgerissen, sondern umfangreich saniert und in einen guten baulichen und zeitgemäßen Zustand gebracht.

Insbesondere die Häuser 190 und 192 werden seitdem in Kooperation zwischen Nachbarschaftsverein und Diakonie für die soziale Arbeit im Stadtteil genutzt.

Wenn wir zurückblicken, so kann alten Protokollen und Schriftwechseln zwischen NBV, Diakonie und städtischen Verwaltungsstellen entnommen werden, dass die Etablierung des Nachbarschaftsvereins, der ja eine Bürgerbewegung ist, in den ersten Jahren nicht überall auf Verständnis und Gegenliebe stieß.

Erst neuere Generationen haben die große Bedeutung des Nachbarschaftsvereins erkannt und dann den NBV auch von städtischer Seite und aus der Politik unterstützt. Als sichtbares Zeichen gilt der 21.08.2000: Der Nachbarschaftsverein Augustastraße e. V. wird mit diesem Tag als eigenständiger Träger der Freien Jugendhilfe anerkannt.

Das ehrenamtliche Engagement von Erich Schäfer und seinen Mitarbeitenden im Nachbarschaftsverein entwickelt einen sehr positiven Einfluss auf den gesamten Stadtteil. Durch die Hausaufgabenbetreuung über viele Jahrzehnte wurde es einer Vielzahl von Kindern ermöglicht, den Anschluss an den Lehrstoff zu halten und weiterführende Qualifikationen zu erlangen. Besonders hervorzuheben ist das Bemühen um Ausländerfreundlichkeit und Integration von Mitbürger/-innen aus anderen Ländern.

In den letzten Jahren engagierte sich Erich Schäfer insbesondere für den Aufbau von Betreuungsstrukturen für ältere Menschen, um deren Verbleib im eigenen Haushalt zu ermöglichen, außerdem soziale Kontakte gegen Alterseinsamkeit in Gang zu bringen.

Erfolgreich kooperiert der Nachbarschaftsverein nicht nur eng mit der örtlichen Diakonie, sondern auch mit städtischen Behörden, mit Firmen und Stiftungen als Sponsoren (insbesondere Stinnes-Stiftung), ebenso mit der Politik und der örtlichen Arbeiterwohlfahrt.

Es ist Erich Schäfer und seinem Verein gelungen, die ehemalige Isolation der Menschen in einer Obdachlosensiedlung aufzuschließen und in lebendige Kontakte auf der Basis von Wertschätzung und Anerkennung umzuwandeln.

Im Jahre 2001 wurde Erich Schäfer aufgrund seines damaligen 25-jährigen Jubiläums im Ehrenamt vom Direktor des Diakonischen Werkes im Rheinland, Herrn Dr. Reinhard Witschke, mit dem Goldenen Kronenkreuz – dem höchsten Ehrenzeichen der Diakonie – in der Immanuelkirche in Mülheim-Styrum ausgezeichnet.

Im Jahre 2008 erhielt Erich Schäfer das Bundesverdienstkreuz für seinen langjährigen sozialen Einsatz mit der Begründung:

„Der Nachbarschaftsverein unter der Führung von Erich Schäfer trug zum Wandel des ehemaligen Brennpunkts Augustastraße und damit des gesamten Stadtteils bei.“

Beim damaligen Pressetermin merkte Erich Schäfer an: „Warum ich das Bundesverdienstkreuz bekommen habe, möchte ich auch gern wissen.“

Und an anderer Stelle sagte er: „Ich allein – das gibt´s nicht...“,

und zu dem „Ding“ an seinem Revers: „Das ist eine Auszeichnung für die ganze Gruppe im NBV.“

Mit diesem persönlichen Auftreten, seiner ganzen Art und seiner sozialen Haltung gegenüber seinen Mitmenschen wurde Erich Schäfer zur tragenden Vertrauensperson im Stadtviertel.

Erich Schäfer ist am Dienstag, dem 10. Mai 2011, im Krankenhaus in Oberhausen gestorben. Seine Familie war bei ihm. Unser Mitgefühl gilt seinen Angehörigen und auch seinen Freunden und Wegbegleitern im Nachbarschaftsverein.

Ein guter Mann ist von uns gegangen. Wir werden diese außerordentliche Persönlichkeit vermissen.

Die Trauerfeier ist am Freitag,  27. Mai 2011, um 9.30 Uhr in der Evangelischen Immanuelkirche, Kaiser-Wilhelm-Straße in Mülheim-Styrum.
Die Urnenbeisetzung findet am gleichen Tag um 11 Uhr auf dem Alstadener Friedhof, Amboßstraße, in Oberhausen-Alstaden, statt. Die Familie bittet von Beileidsbekundungen abzusehen. Trauerfeier und Urnenbeisetzung werden vom Diakoniepfarrer des Evangelischen Kirchenkreises, Herrn Pfr. Gerald Hillebrand gestaltet.

 

Mülheim an der Ruhr, 20.05.2011

H. Kistner
Geschäftsführer
Diakonisches Werk
im Evangelischen Kirchenkreis An der Ruhr

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