Die "Trampolin-Gruppe"

Eine Kooperation von Ambulatorium und Jugend- und Familienhilfe des Diakonischen Werkes im Evangelischen Kirchenkreis An der Ruhr
Hagdorn 1a
45468 Mülheim an der Ruhr       [auf Karte anzeigen]

Das Diakonische Werk ist erreichbar:
montags, dienstags, freitags: 7.30 - 16.30 Uhr
mittwochs: 7.30 - 13 Uhr
donnerstags: 7.30 - 18 Uhr

Ansprechpartner:

Anke Meyer, Ambulatorium
Tel.: (0208) 3003-223
E-Mail: ameyer[at]diakonie-muelheim.de

Olaf Thane, Jugend- und Familienhilfe
Tel.: (0208) 3003-258
E-Mail: thane[at]diakonie-muelheim.de



„Ich glaubte, ich wäre schuld an der Sucht meiner Eltern.“

Kinder aus Suchtfamilien tragen eine Bürde aus Schuld und Scham. Doch es gibt Hoffnung für sie.

„Sie haben sich gestritten, Sachen sind durch die Gegend geflogen, es war laut. Das ging meist bis spät in die Nacht hinein, so dass ich kaum schlafen konnte.“ Marina spricht ruhig, fast ausdruckslos, wenn sie über ihre Kindheit berichtet. Ihre Eltern sind alkoholkrank – beide. Die Sechzehnjährige versucht jegliche Emotion hinter einer Maske von Coolness zu verstecken. Doch als sie weiterspricht, hört man die Trauer in ihrer Stimme. „Manchmal haben sie mich für irgendwas angegriffen, für was ich gar nicht verantwortlich war. Mit der Zeit habe ich mich in mir selber verkrochen und war immer sehr ruhig. Und immer hatte ich das Gefühl, dass ich daran schuld bin, dass meine Eltern trinken.“
Berichte wie der von Marina sind typisch für Kinder suchtkranker Eltern. Sie wachsen in einer spannungsgeladenen Atmosphäre auf und leben in ständiger Unsicherheit, was ihre betrunkenen Eltern im nächsten Moment tun werden. Auf 2,6 Millionen wird die Zahl der Kinder aus Suchtfamilien von Experten geschätzt. Ca. jedes sechste Kind in Deutschland würde somit im Schatten der Sucht aufwachsen, die meisten davon mit Alkoholikern. Sehr früh übernehmen diese Kinder Verantwortung für die Eltern und springen in die Bresche, wenn die Erwachsenen - suchtbedingt - ausfallen. Nicht selten erledigen die Kinder den Haushalt und versorgen die kleineren Geschwister. Und oftmals kümmern sie sich so sehr um die Bedürfnisse ihrer Eltern, dass sie darüber verlernen, Kind zu sein. Auch Marina entwickelte feine Antennen, und lernte, aus Stimmungen, Gesten, Nuancen abzulesen, was ihre Eltern brauchten. Vor allem spürte Marina aber eines: Wann ihre Eltern Nachschub brauchten. „Wenn man alkoholkranke Eltern hat, achtet man immer darauf, dass sie genügend Alkohol haben, damit der Pegel stabil ist, damit die sich nicht auf einmal anders benehmen.“ Wenn es hart auf hart kam, ging Marina auch schon mal nachts zur Tankstelle, um Hochprozentiges für die Eltern zu besorgen.
Kinder von Suchtkranken schämen sich für ihre Eltern, und versuchen zugleich alles, um sie zu schützen. Niemand außerhalb der Familie soll erfahren, dass Vater oder Mutter ein Suchtproblem haben. So dürfen die Kinder oft keine Freunde mit nach Hause bringen und erzählen notfalls Lügengeschichten, um den Schein der Normalität zu wahren. Innerlich quält sie das Gefühl, anders zu sein als andere Kinder, nicht normal und nicht liebenswert zu sein.
Eine solche Kindheit hinterlässt Spuren in den Seelen der Kinder. Ca. ein Drittel von ihnen entwickelt in der Jugend oder im Erwachsenenalter eine eigene stoffliche Sucht. Ein weiteres Drittel zeigt psychische oder soziale Störungen. Viele Kinder, die mit süchtigen Eltern aufwuchsen, suchen sich wieder einen Süchtigen als Lebenspartner und leben damit das Programm weiter, das sie bereits als Kinder verinnerlicht haben.

Doch es gibt Hoffnung für Kinder aus Suchtfamilien. So haben sie gute Chancen, sich trotz widriger Kindheitsumstände relativ gesund zu entwickeln, wenn es in ihrer Umgebung erwachsene Vertrauenspersonen gibt, die sich ihnen zuwenden, ihnen zuhören und ihnen das Gefühl vermitteln, angenommen und wertvoll zu sein. Solche sicheren Bezugspersonen können Großeltern oder andere Verwandte sein, aber auch Lehrer, Erzieherinnen, Eltern von Spielfreunden oder Mitarbeiter von Jugendfreizeitheimen.
Wenn Kinder oder Jugendliche gegenüber einer erwachsenen Vertrauensperson ansprechen, dass es zu Hause ein Suchtproblem gibt, ist es wichtig, dass ihnen geglaubt wird und dass sie Informationen über Sucht erhalten. Sie müssen erfahren, dass Sucht eine Krankheit ist, an der sie keine Schuld haben. Sie brauchen den Zuspruch, dass ihre Eltern keine schlechten Menschen sind. Sie müssen verstehen, dass sie als Kinder den Eltern nicht helfen können und dass es nicht ihre Aufgabe ist, die Sucht zu heilen. Schließlich müssen sie ermutigt werden, dass sie trotz der Suchtkrankheit im Elternhaus das Recht haben, Kind zu sein, zu spielen, die Welt zu entdecken, Freundschaften zu entwickeln und die eigenen Fähigkeiten zu erproben. Diese Informationen entlasten Kinder, helfen Ihnen, Schuld- und Schamgefühle zu überwinden und stärken ihr Selbstwertgefühl. Wenn ihnen erklärt wird, was Sucht ist, hilft dies, Angst abzubauen, weil sie das Verhalten der Eltern dann einordnen können.

Auch in Mülheim an der Ruhr gibt es Angebote, die Kindern genau das ermöglichen: Informationen zu dem Thema Sucht zu erhalten, über Sorgen sprechen zu können und einfach nur zu spielen, sich zu bewegen und Spaß zu haben – und das in einer für die Kinder spannenden und abwechslungsreichen Art und Weise. Das Diakonische Werk ist in den zurückliegenden Jahren gemeinsam mit vielen weiteren Netzwerkpartnern aktiv geworden und hat eine Kindergruppe aufgebaut.
„Kinder aus suchtbelasteten Familien entdecken ihre Stärken“ lautet das Motto der neuen Kindergruppe, die nach den Sommerferien 2015 an den Start gehen wird. Über einen Zeitraum von drei Monaten treffen sich bis zu acht Kinder im Alter von acht bis zwölf Jahren einmal in der Woche, jeweils für 1 ½ Stunden, im Diakonischen Werk zum Spielen, Reden und zum Lachen.
„Trampolin-Gruppe“ nennen die Initiatoren dieses neue Gruppenangebot auch: Wie auf einem Trampolin können die Kinder sich ausprobieren, neue Sprünge wagen. Und wie auf einem Trampolin fängt die Gruppe Kinder auf, wenn es ihnen nicht gut geht und sie jemandem zum Reden benötigen. Am Ende der gemeinsamen Zeit haben die Kinder so vielleicht erfahren, dass sie doch ein bisschen höher springen können als sie denken, weil sie gestärkt und mit guten Ideen für neue Sprünge aus dem Gruppenangebot hinausgehen.
Anke Meyer, Mitarbeiterin in dem Ambulatorium, der Suchtberatungsstelle des Diakonischen Werkes, und Olaf Thane, Mitarbeiter in der Jugend- und Familienhilfe des Diakonischen Werkes, leiten die neue Kindergruppe und stehen unter der Telefonnummer 3003-223 oder ameyer[at]diakonie-muelheim.de bzw. der Telefonnummer 3003-258 oder thane[at]diakonie-muelheim.de für weitere Informationen und Anmeldungen zu der „Trampolin-Gruppe“ zur Verfügung.

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