Diakonie

Diakonisches Werk
im Evangelischen Kirchenkreis An der Ruhr

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Die Erinnerung Stein für Stein wach halten

Stolpersteine vor dem Eingang der Therapeutischen Wohngemeinschaft erinnern an Familie Meyer

Stein für Stein halten sie die Erinnerung wach, damit die Menschen nicht einfach über die Vergangenheit hinweggehen. Das Lernen aus der Geschichte ist damit gemeint, denn tatsächlich laufen Passanten tagtäglich über die „Stolpersteine“, die an Menschen erinnern, die während des Nationalsozialismus ermordet wurden. Vier dieser Quader sind nun vor dem Eingang der Therapeutischen Wohngemeinschaft (TWG) in den Gehweg eingelassen. Sie erinnern an die Familie Meyer, die bis 1942 an der Georgstraße 30 wohnte, wo heute die Einrichtung des Diakonischen Werkes im Evangelischen Kirchenkreis An der Ruhr zu finden ist. Im Beisein von Mitgliedern des Kuratoriums, der Geschäftsführung, von Mitarbeitenden und Klienten der Mülheimer Diakonie wurden die besonderen Gedenksteine verlegt.

NS-Opfern, die in Konzentrationslagern „zu Nummern degradiert wurden“, will Künstler Gunter Demnig ihre Namen zurückgeben. Der Kölner Bildhauer startete sein Erinnerungsprojekt in den frühen Neunzigerjahren und verlegt seitdem „Stolpersteine“, jene Betonblöcke auf denen beschriftete Messingplatten angebracht sind. In Mülheim ließ er die ersten im Jahr 2004 in die Erde; Schüler der Realschule Stadtmitte initiierten die Aktion, um sieben früheren Schülern zu gedenken, die in Vernichtungslagern ums Leben kamen.

Am vergangenen Dienstag, 31. Januar 2017, griff Gunter Demnig nun wieder selbst in Mülheim zu Kelle und Speis und setzte „Stolpersteine“ an sieben Orten in Bürgersteige ein. Damit gibt es insgesamt 142 Stolpersteine an 72 Stellen im Mülheimer Stadtgebiet. „Es ist die zwölfte Verlegung“, sagt Friedrich-Wilhelm von Gehlen. Er ist Sprecher des Arbeitskreises „Stolpersteine“ der Mülheimer Initiative für Toleranz (MIT), die das Erinnerungs-Projekt seit 2006 in der Stadt begleitet. Wichtiger Teil des Engagements des Arbeitskreises ist die Recherche, denn die Lebens- und Leidensgeschichte der Menschen, die Opfer der Nationalsozialisten wurden, wird stets sorgfältig aufbereitet und etwa im Internet zugänglich gemacht. Immer wird sie zudem während der Verlegung des jeweiligen Stolpersteins vorgetragen. Politisch Verfolgte sind unter anderem darunter, aber auch Bibelforscher, Opfer der Euthanasie, Mitglieder des Widerstandes und ein Roma. Der Großteil der Steine erinnert jedoch an Menschen jüdischen Glaubens – so auch die vier Steine vor der TWG.

Ein wichtiger Beitrag zur Erinnerungskultur ist das Stolperstein-Projekt für Hartwig Kistner. Der Geschäftsführer des Diakonischen Werkes betont: „Wir dürfen nicht aufhören, aus der Vergangenheit zu lernen. Gerade in der heutigen Zeit muss die Geschichte lebendig gehalten werden.“ Dazu trügen gerade die Lebensgeschichten der NS-Opfer bei. Auch Klienten, die derzeit in der Therapeutischen Wohngemeinschaft betreut werden, zeigten sich von der Stolperstein-Verlegung „beeindruckt“ und bewegt von der Geschichte der Familie Meyer.

Hugo Meyer wurde 1891 in Mülheim geboren und wuchs am Kohlenkamp auf. Sein Vater Levy war Metzgermeister und betrieb eine eigene Metzgerei; seine Mutter hieß Selma. „Er muss im Ersten Weltkrieg gedient haben“, berichtet Friedrich-Wilhelm von Gehlen und beruft sich dabei auf einen Vermerk auf Hugo Meyers Einwohnermeldekarte: Demnach kam er „aus französischer Gefangenschaft zurück“. 1921 heiratete er Malchen Katz, die 1896 in Guxhagen (Kreis Melsungen in Hessen-Nassau) geboren wurde. Sohn Martin kam 1921 zur Welt, Tochter Karola 1924. Die Familie lebte bis 1926 in Guxhagen, bevor sie wieder ins Ruhrgebiet zog. 1933 kehrte Hugo mit Frau und Kindern in seine Heimatstadt zurück, um von seinem Bruder Richard die Metzgerei seines inzwischen verstorbenen Vaters zu übernehmen. Die Familie wohnte zuerst an der Wertgasse und zog dann an die Georgstraße 30. Dies ist die letzte bekannte Adresse von Hugo, Malchen und Martin Meyer, bevor auf der Einwohnermeldekarte der Vermerk folgt: 21. April 1942, „nach unbekannt Abwanderung“. Dahinter, weiß Friedrich-Wilhelm von Gehlen, „verbirgt sich das Datum der Deportation der Familie“.

Hugo, Malchen und Martin Meyer wurden mit 353 Juden aus Essen und Umgebung mit einem Sonderzug nach Düsseldorf gebracht – zum „Sammellager am Schachthof“. Von dort aus wurde die Familie mit einem weiteren Zug nach Izbica transportiert; 387 Männer und 684 Frauen waren in 20 Wagen zusammengepfercht. Bis Oktober erreichten die Verwandten Postkarten der Meyers. Im Oktober wurden die Verschleppten wahrscheinlich zu den Vernichtungslagern Sobibor oder Belcec deportiert. Die Spur von Hugo, Malchen und Martin Meyer verliert sich dort. Sie wurden vom Amtsgericht Mülheim an der Ruhr am 31. Dezember 1945 für tot erklärt.

Karola Meyer hingegen war 1939 nach Brüssel emigriert. Und dennoch: Im Juli 1943 wurde sie von Mechelen (Malines) mit dem größten Transport, der insgesamt 1.553 Menschen umfasste, nach Auschwitz gebracht. Auch sie wurde am 31. Dezember 1945 von Mülheimer Amtsgericht für tot erklärt.