Diakonisches Werk
im Evangelischen Kirchenkreis An der Ruhr

Hagdorn 1a
45468 Mülheim an der Ruhr    [auf Karte anzeigen]

Das Diakonische Werk ist erreichbar:
montags, dienstags, freitags: 7.30 - 16.30 Uhr
mittwochs: 7.30 - 13 Uhr
donnerstags: 7.30 - 18 Uhr

Ansprechpartner:

Birgit Hirsch-Palepu, Leiterin Abteilung Soziale Dienste
Tel.: (0208) 3003-225
E-Mail: hirsch-palepu[at]diakonie-muelheim.de

Michael John, Koordination
Tel.: (0208) 3003-213
E-Mail: john[at]diakonie-muelheim.de



In der Vorschulgruppe für Seiteneinsteiger ist Lernen ein Kinderspiel

Diese 13 gehören wohl zu den wenigen Jungen und Mädchen, die keine Ferien machen möchten: Seit Anfang Mai betreuen die Erzieherinnen Gabriele Becker-Albrecht und Andrea Held Kinder im Vorschulalter, die nie einen Kindergarten besucht haben. Die Mitarbeiterinnen des Diakonischen Werkes bereiten die Seiteneinsteiger so auf die Schule vor, führen sie etwa an Abläufe, Regeln, Rituale heran, damit ihnen der Start in den Unterrichtsalltag leichter fällt. Das vom Land NRW geförderte Modellprojekt, das in der Gemeinschaftsgrundschule Styrum an der Augustastraße Raum gefunden hat, bündelt viele Kompetenzen und schafft eine Schnittstelle zwischen Erzieherinnen und Lehrerinnen sowie der Mülheimer Diakonie und deren Fachkräften, beispielsweise aus den Bereichen Jugend- und Familienhilfe sowie vom Jugendmigrationsdienst mit seiner Integrationsfachschule. Auch die Stadt Mülheim an der Ruhr, die diese Maßnahme zur Kinderbetreuung in besonderen Fällen gemeinsam mit dem Diakonischen Werk initiierte, ist eng am Monitoring-Prozess beteiligt. Für die Fachleute von Stadt, Schule und Diakonie ist es ein ganzheitlicher Ansatz in vielerlei Hinsicht. Für die 13 Kinder ist die „Gruppe Kunterbunt“ jedoch vor allem ein großer Spaß.

Im Supermarkt Kunterbunt gibt es jetzt eine kleine, aber feine Gemüseabteilung: Eine rote Paprika ist dort beispielsweise erhältlich, eine grüne Gurke und eine – das ist ein ganz schwieriges Wort – „orangene“ Möhre. Maria hat kräftig eingekauft, neben Obst hat sie noch Lollis und Milch ausgesucht und wartet nun darauf, dass Esrom abkassiert. Geschäftig drückt er die Tasten der Plastikkasse, nennt einen Preis. Maria greift zum Portemonnaie und fischt gedachte Scheine heraus. Bei Kunterbunts ist es okay, wenn man so tut, als würde man bezahlen. Antony steht als nächster in der Schlange, hat seine Geldbörse griffbereit – doch dann sieht er Hudas traurigen Blick; sie hat noch kein Portemonnaie bekommen und muss noch warten. „Hier“, sagt der Kleine und drückt dem Mädchen seine Geldbörse in die Hand. Da glaubt man Erzieherin Gabriele Becker-Albrecht sofort, wenn sie sagt: „Wir müssen hier alles fördern – außer den sozialen Bereich.“ Trösten, teilen, helfen muss man diesen Kindern nicht beibringen.

Den Rest üben sie beim Einkaufen – also beim Rollenspiel. Nicht mehr als zwei zusammengeschobene Tische ist dieser Kaufladen. Die Lollis sind selbst gebastelt, andere Waren selbst geknetet. Die Spielzeugkasse ist ganz neu und natürlich der Brüller. Das Obst und Gemüse waren heute im Morgenkreis Thema; die Kinder haben die deutschen Namen Birne, Zitrone und Banane gelernt und die Farben noch mal geübt. Mit dem improvisierten Laden wollen die Fachfrauen nun die Fantasie anregen, das Miteinander fördern, die Kinder ins Gespräch bringen und mit ihnen ganz nebenbei Vokabeln pauken.

„Alltagsintegrierte Sprachförderung“ nennen die Fachleute das. Da ist zum Beispiel Muharem, der erzählt: „Ich habe einmal in eine Zitrone gebeißt.“ Da staunt Andrea Held: „Du hast wirklich in eine Zitrone gebissen?“ Ein „Das war falsch“ wird man in der Gruppe Kunterbunt nicht hören; stattdessen wiederholen die Betreuerinnen die richtige Version. Das passt zum Ansatz, der nicht aufs Soll, sondern aufs Haben blickt. „Wir holen die Kinder da ab, wo sie mit ihren Stärken stehen und bauen darauf auf“, erläutert Gabriele Becker-Albrecht. Bewegung, Malen und Basteln sind da Teil des ganzheitlichen Ansatzes, um Sprachbarrieren zu überbrücken, um Besprochenes anschaulich zu machen.

Der schön geschmückte Klassenraum, etwa die an Fäden baumelnden, aus Klorollen gebastelten Bienen, sind Ergebnis dessen – und die gefüllten „Ich-Bücher“ der Kinder. Dort können die Jungen und Mädchen Gebasteltes und Gemaltes aufheben; die Erzieherinnen ergänzen dies durch jede Menge Fotos. Als Erinnerung ist das gedacht und als Information für die Eltern, damit, sagt Gabriele Becker-Albrecht, „sie wissen, was ihre Kinder den ganzen Tag bei uns machen“. Eltern-Arbeit ist auch Teil des Projekts, das nach einer langen Bewilligungsphase erst acht Wochen vor den großen Ferien starten konnte. Für Gabriele Becker-Albrecht kann man diese „acht Wochen“ aber bereits „als Erfolg verbuchen“. Fest macht sie das an den Kindern, die offener geworden sind, die schon viel besser Deutsch sprechen, die gerne dienstags- bis freitagsvormittags in die Gruppe kommen und sich an jedem Freitag wünschten, es gebe kein langes Wochenende.

Birgit Hirsch-Palepu, die als Leiterin der Abteilung Soziale Dienste des Diakonischen Werkes den Projektantrag stellte, ist überzeugt: „Die Kinder, die an unserer Vorschulgruppe teilnehmen, werden einen ganz, ganz guten Start in ihre Schullaufbahn haben.“ Das Kennenlernen von Ritualen, der pünktliche Beginn am Morgen, das Einfügen in eine soziale Gruppe nennt sie als Punkte, die die Jungen und Mädchen so kennenlernen. Das hebt auch Simone Dausel hervor. Die Leiterin der Grundschule Styrum empfindet zudem den „Austausch zwischen den Erzieherinnen und dem Kollegium“ als sehr bereichernd: „Da sind zwei Kolleginnen, die die Kinder schon kennen.“ Das sei ein Gewinn für die Lehrer und die zukünftigen Schüler: „Das vereinfacht den Start für alle Seiten. Vor allem baut es bei den Kindern Vertrauen auf und Hemmungen ab.“ Das gelte allgemein und nicht nur für jene aus der kunterbunten Gruppe, die nach den Ferien auf die Styrumer Schule gehen. Einige besuchen ab August zudem die OGS der Schule, die ebenfalls in Trägerschaft des Diakonischen Werkes ist. Auch da sind die Wege kurz.

Zunächst ist das Projekt bis 31. Dezember 2017 befristet; jedoch soll es nach dem Willen aller Beteiligten fortgeführt werden. Denn mit der zielgerichteten Förderung von Seiteneinsteigern im Vorschulalter schließt die Mülheimer Diakonie eine Lücke. „Es ist wichtig, dass man diese Kinder erreicht“, sagt Andrea Held. Doch zunächst gehen alle in die verdienten Sommerferien – auch wenn die Kunterbunten lieber in die Vorschule gehen würden.