Teestube / Diakonietreff in der Auerstraße

Ein Angebot des Diakonischen Werkes im
Evangelischen Kirchenkreis An der Ruhr

Auerstraße 47 - 49
45468 Mülheim an der Ruhr     [auf Karte anzeigen]

Tel: (0208) 302 45 -0
E-Mail: agh@diakonie-muelheim.de

 

Sprechzeiten:
montags bis freitags 9 – 12.30 Uhr und 14 – 16 Uhr
und nach Vereinbarung

 



Teestube: Wohnzimmer für Wohnungslose

Herr Müller verbreitet schon Ende Oktober Weihnachtsstimmung. Einen Stapel Goldpapier hat er vor sich liegen und faltet daraus Fröbelsterne, einen nach dem anderen. „Zwei Stunden brauch‘ ich für einen großen“, sagt er, und eine Frau am Nebentisch zeigt sofort ein zweifarbiges Exemplar her. „Ein kleiner Stern“, erklärt Herr Müller jetzt, „dauert 30 Minuten.“ Jeder braucht nun mal ein Hobby, um Zeit totzuschlagen. Und hier in der Teestube ist es warm; mit vor Kälte steifen Fingern lässt es sich schlecht basteln. Dazu gibt es Tische, auf denen man seine Materialen ausbreiten kann. Oder auch sein Kreuzworträtselbuch, wie der Mann neben Herrn Müller, oder eine Zeitung, wie der Mann am Tisch gegenüber. Andere sitzen im großen Kreis um einen Tisch herum, gefüllte Kaffeetassen vor sich, und plaudern. Es ist laut, und es ist stickig. Zigarettenqualm hängt schwer in dem Raum. Die meisten der Anwesenden rauchen, Aschenbrecher stehen auf fast allen Tischen, umgeben von Tabakkrümeln, Überbleibsel der Selbstgedrehten. Eine große Uhr hängt an der Wand, zehn vor 12 ist es, zehn Minuten vorm Mittagessen. Die ersten haben schon Servietten und Besteck neben sich liegen. Heute gibt es Matjes mit Bratkartoffeln; da ist die Bude voll. Hausmannskost wie bei Muttern kommt gut an bei den Anwesenden, die hier „Klienten“ genannt werden. Wohnungslose – Menschen, die mal auf der Straße gelebt haben oder noch leben – und von Wohnungslosigkeit bedrohte Männer und Frauen sind es, die an der Auerstraße Treffpunkt und Schutzraum, Kleiderkammer und Hygienestation, Ansprechpartner und warme Mahlzeiten finden – und die die Teestube scheinbar zu ihrem Wohnzimmer machen.

Es gibt in der Teestube zwei Kardinalregeln, an die man sich halten muss, wenn man bleiben will: Kein Alkohol oder Drogen ist die eine, keine Gewalt – verbal oder physisch – die andere. „Es gibt einen kleinen Kreis“, sagt Sozialarbeiter Patrick Bahr, „der unser Angebot deshalb nicht wahrnimmt.“ Denn nicht alle, aber die überwiegende Mehrheit der Zielgruppe ist alkoholsüchtig, bei vielen kommt eine psychische Störung hinzu. Dies paart sich oft mit Brüchen in der Lebensgeschichte, mit Scheidung oder Tod eines geliebten Menschen, mit dem Verlust der Arbeitsstelle. „Viele standen mitten im Leben“, sagt Bahr – und dann warf sie etwas aus der Bahn, weil sie kein soziales Netz haben, keine Verwandten oder Freunde, die sie auffingen. „Oft steckt auch eine Familien-geschichte dahinter“, sagt Sozialarbeiterin Iska Hickmann. „Schon die Eltern waren Leistungsbezieher.“ Und die brachten ihren Kindern nie etwas anderes bei.

Hilfe bietet die Zentrale Beratungsstelle (ZBS) der Ambulanten Gefährdetenhilfe Wohnungslosen seit 1979. Die Teestube wurde zehn Jahre später, 1989, eingerichtet. Die heutige Konzeption mit allen Angeboten ist über die Jahre gewachsen. Man passte sich stets der Realität an, konnte das bieten, was tatsächlich benötigt wird.

Als „Wärmestube“ begann man an der Kaiserstraße, in jenen Räumen, in denen sich heute die Ladenkirche befindet. 2003 zog die Teestube an die Auerstraße. Mehr Platz hatte man dort. Eine Küche richtete man ein. Das Frühstück kostet nun 1,20 Euro, das warme Mittagessen 1,50 Euro. Zudem gibt es eine Kleiderkammer mit gespendeter Kleidung, die an Menschen ausgegeben wird, die nur das haben, was sie am Leib tragen oder deren Kleidung nicht nur abgetragen, sondern dazu noch völlig verdreckt ist. Eine Krankenschwester betreut die Hygienestation, denn ärztliche Versorgung ist in der Einrichtung ein Dauerthema – weil sie eben oft fehlt, die meisten gehen nicht zum Arzt. Offene Wunden werden nicht versorgt, Krankheiten verschleppt. „Das zu ändern“, sagt Bahr, „braucht viel Motivation.“ Es sind Angebote, die den Männern und Frauen gemacht werden. Ob sie sie in Anspruch nehmen, entscheiden sie selbst.

Oftmals fällt diese Entscheidung nicht leicht. Thomas, zum Beispiel, kam damals nur zur Teestube, weil ein Streetworker ihn regelmäßig angesprochen, ihm von der Einrichtung erzählt, ihn „überredet“ hat zu kommen. Fünf Jahre lebte er auf der Straße und fühlte sich dort am rechten Platz. „Ich dachte, ich sei da besser aufgehoben. Auf der Straße geh‘ ich meinen Weg und mach‘ Sachen so, wie ich es für richtig halte. Da bin ich zu nix verpflichtet“, erzählt der 47-Jährige. Er betont, er habe die Wohnung, die er sich mit einem Kumpel teilte, freiwillig verlassen. Er sei betrogen, hintergangen, beklaut worden. Da wollte er lieber alleine sein. Doch dann kam ein „harter Winter“, und die Aussicht auf eine warme Mahlzeit ließ Thomas seine Vorbehalte überwinden und in die Teestube kommen. Dort fand er mehr als Wärme: Er fand Verständnis und Unterstützung. „Die Mitarbeiter haben mir sehr geholfen, mit der Wohnung und den Ämtern und dem ganzen Kram.“ Inzwischen hat er seine eigenen anderthalb Zimmer und arbeitet in der Teestube mit – ehrenamtlich. „Ich wollte etwas zurückgeben“, sagt er.

Sieben Leute gehören zu diesem Team, einige sind als Ein-Euro-Jobber angestellt, andere – so wie Thomas, dessen Maßnahme ausgelaufen ist – sind ehrenamtlich aktiv. „Das sind alles Personen aus unserem Klientenkreis“, sagt Sozialarbeiterin Iska Hickmann und betont, dass alle freiwillig mitarbeiten und dass es gerade ihre Gastfreundschaft ist, „die für eine volle Hütte sorgt“.

Statistisch gesehen kommen 40 Menschen täglich in die Teestube, wobei Patrick Bahr von einem „Saisongeschäft“ spricht: Im Winter kommen vielleicht 50 Leute, nennt der Sozialarbeiter Zahlen, „wenn schönes Wetter ist, kommen weniger – und wenn es etwas Vegetarisches zu essen gibt auch“. Diese Zahlen sind über die Jahre konstant geblieben, 75 Prozent der Hilfesuchenden sind Männer, 25 Prozent Frauen. Auch das Durchschnittsalter der Klienten hat sich auf zwischen 30 bis 50 Jahren eingependelt – wobei in letzter Zeit vermehrt Menschen um die 20 zur ZBS kommen. Eine neue Entwicklung, die man an der Auerstraße mit Sorge betrachtet. Eine rechte Erklärung hat man noch nicht, warum es bei immer mehr jungen Menschen mit der ersten eigenen Wohnung nicht klappt. „In den 80er, 90er Jahren war ein 20-Jähriger in der Teestube ein Exot“, sagt Patrick Bahr. Zugleich war das Thema „Obdachlosigkeit“ damals aber präsenter in der Öffentlichkeit, es gab mehr Menschen, die Platte machten. Die verschiedenen Angebote der Ambulanten Gefährdetenhilfe – neben ZBS und Teestube unter anderem eine Notschlafstelle, Betreutes Wohnen, Angebote der Tagesstrukturierung und Streetworker – haben diese Zahlen reduziert, die Präsenz im Stadtbild genommen. „Es gibt nur noch selten Leute, die draußen schlafen“, sagt Bahr, aber er ist auch sicher: „Gäbe es diese Angebote nicht mehr, würde sich das ganz schnell wieder ändern.“

Julia Blättgen

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